Mittwoch, 26. November 2008

Offene Altenarbeit




Das ist ein wahnsinniges Projekt. Wir dürfen ältere Menschen zu Hause besuchen, die auf irgend eine Art und Weise durch den Nationalsozialismus leiden oder gelitten haben. Mir sind zwei Damen „zugeteilt“. Charlotte Geiger und Edith Kraus (s. Bild). Sie haben beide Verschiedene Geschichten. Die eine ist bereits 1933 aus Berlin nach Palästina geflohen und hat somit den gesamten Aufbau des Landes miterlebt und die andere war drei Jahre in Theresienstadt und wurde nur nicht weiter nach Auschwitz transportiert, weil sie im Ghetto als Pianistin arbeitete und somit den Direktor für Freizeitgestaltung im Ghetto kannte, der ihr zweimal half und sie von der Liste nehmen lassen konnte. 
Es ist herrlich zu sehen, wie eine Beziehung zwischen ihnen und mir wächst. Besonders zwischen Lotte und mir läuft es sehr gut. Sie ist für ihr Alter von 94 Jahren noch erstaunlich fit und sehr diskussionsfreudig, belesen und witzig. Ihr lese ich vor und mache ihr Kaffee und Kuchen. Auch gehen wir oft spazieren. Selbst “Wer wird Millionär” haben wir schon zusammen geschaut. 
Bei Frau Kraus gibt es immer ein sattes Kaffeetrinken mit Wurst- und Käsestullen, was ihre Haushaltshilfe uns bereitet. Mit ihr rede ich viel über ihre Vergangenheit. Wir sprechen über ihre Zeit in Theresienstadt, ihre Karriere als Pianistin und unsere Familien. Auch hören wir sehr gerne zusammen Musik, vornehmlich Klaviermusik, da ich entscheiden darf und ich diese immer wieder auswähle, weil es so faszinierend ist, ihre Finger während des Hörens zu betrachten. Sie spielen in der rechten Hand jeden Ton mit. Die linke ist durch einen Schlaganfall in ihrer Feinmotorik gestört, weswegen sie ihren in der Wohnung stehenden Steinway auch nicht mehr spielt. Aber auch als ich ihr letztens als Überraschung meine CDs mitgebracht habe, die vornehmlich aus Violinmusik besteht und sie sich für Tschaikowskis Violinkonzert entschied, war sie mit ganzem Körper dabei. 
In diesem Arbeitsbereich wird noch viel passieren. Viele interessante und sicherlich auch immer intimer werdende Gespräche wird es geben und ich lerne eine Person, die fast fünf mal so alt ist wie ich und unfassbar viel erfahren hat, gut kennen. 

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