Dienstag, 20. Januar 2009

Von Hunden und Pazifismus

Auf der Straße treffe ich einen netten und uns gegenüber sehr offenen Nachbar. Er hat einen jungen Hund bei sich, den ich zuvor nie bei ihm sah und so fragte ich nach. Tatsächlich ist er neu und erst sieben Wochen alt. „Ist ein Guter“, versichert er mir und fährt vor, „Er beschützt mich“. Ich gucke ihn fragend an und so fängt er an zu erklären: „Er mag keine Araber.“ Meine Blicke werden wohl noch fragender, denn wieder fährt er nach wenigen Sekunden ohne ein Wort meinerseits fort, reduziert seine Stimme dabei allerdings auf ein Flüstern: „Da drüben sitzen drei. Als wir vorbei gingen, drehte er sich um und knurrte, er beschützt mich eben.“ Ich beuge mich zum Hund herunter: „Du kleiner Rassist!“ sage ich wohl wissend, dass ich wohl auch sein Herrchen damit meine und die Verniedlichung besser hätte weg lassen sollen. Nun schaut mich der Nachbar fragend an: „Man muss doch jetzt vorsichtig sein, nicht wahr?“

„Es ist doch immer das Gleiche“ stöhnt eine Arbeitskollegin am Morgen nachdem israelische Truppen in Gaza eine UN-Schule beschossen hatten in die Klasse stolpernd. Sie guckt mich an. „War ja klar, dass wir wieder als die Bösen dargestellt werden.“ Ich weise sie auf die vielen zivilen Opfer hin. „Die Hamas benutzt sie als Schutzschild, lagert Waffen in Kellern von Krankenhäusern. Was sollen wir denn machen? Aber dass die mal über die Raketen auf Sderot und Ashkelon schreiben, die nicht erst seit Kriegsanfang fliegen, kommt natürlich nicht in Frage.“ 

„Tausend Tote für nichts. Kinder und Frauen darunter. Das ist so unglaublich schrecklich. Warum das immer wieder passieren muss. Es führt ja doch zu nichts. Warum wir das nicht lernen. Ich verstehe das nicht, die Raketen fallen ja nicht seit gestern auf Sderot!“ erwidert mir ein Lehrer meiner Schule auf einer Busfahrt meine Frage nach seiner Meinung.

Ich sitze mit einer befreundeten Studentin bei einem Bierchen. „Viele Israelis denken so: „Die Palästinenser im Gaza unterstützen nun mal die Hamas und diese kämpft mit unfairen Mitteln, was zu dadurch notwendigen Angriffen auf Schulen oder Krankenhäuser, vielen zivilen Opfern und letztlich auch zur humanitär schlechten Lage führt.“, was natürlich absoluter Blödsinn ist!“ erklärt sie mir. 

Das nur einige Stimmen aus meinem Umfeld.

Nicht leicht, mich im Moment den Fragen aus Deutschland zu stellen. Natürlich, die Bilder sprechen Wände. Kinder in Not und Todesangst, noch vom Zittern der letzten Angriffe erfasst, verletzt oder wegen des Verlustes eines Geliebten in von Trauer gelähmt. Bis jetzt weit über 1000 Tote und unzählige Verletzte. Jetzt ist eine Waffenruhe zustande gekommen. Eine die hoffentlich konstruktiv und nicht von beiden Seiten nur zum Lecken der eigenen Wunden genutzt wird, um für die kommenden Kämpfe „gerüstet“ zu sein. Das ist was die meisten hoffen. Auch die Israelis sind doch, soweit ich das mitbekomme und ich habe da natürlich und da bitte ich um Euer Verständnis, nicht den größten Einblick in die aktuelle Stimmungslage in der Bevölkerung, von der Grausamkeit in Gaza abgeschreckt. Abgeschreckt, nicht immer erschüttert oder von mir mit anderen Adjektiven zu beschreiben, die ein tiefes Mitgefühl implizieren. Gleichzeitig gibt es eine niemals zuvor so groß und aktiv dagewesene Kriegsgegnerschaft im Lande. Antikriegsdemonstrationen vor Allem in Tel Aviv finden größeren Anklang als gewohnt. Auch treten erstmals die Verweigerer des Dienstes an der Waffe in Erscheinung, die zuvor doch meist unsichtbar blieben. 
Ich traue mich nicht so recht die Frage nach dem aktuellen Stimmungsbild unter den Israelis zu beantworten. Ich kenne nicht viele Meinungen. Man fragt ja auch nicht jeden sofort nach seiner Haltung und mit allen aus meinem näheren israelischen Umfeld habe ich auch nicht darüber gesprochen. Was bei den Zitaten deutlich wird ist, dass oftmals die Fronten sehr verhärtet sind, es aber auch andere Beispiele gibt und man sich nicht selten von der Welt nicht richtig verstanden fühlt. In welchen Anteilen sich das auch immer auf die Bevölkerung verteilt. 
Mit der Darstellung in den ausländischen Medien haben sie im Endeffekt auch nicht unrecht. Die Frage ist nur, ob die Vorwürfe rechtens sind. 

Es sind auch in der „Waffenruhe“, dessen Ende zum jetzigen Krieg beitrug, Raketen auf grenznahe Städte in Israel geflogen. Die Regierung unternahm lange nichts dagegen. Das machte die Bevölkerung, besonders in den betroffenen Regionen wie den Städten Sderot und Ashkelon, sauer. Es ist für die meisten Israelis nun mal eine der wichtigsten Aufgaben ihrer Regierung, für ihre Sicherheit zu sorgen und das tat sie in diesem Falle nicht genug. Doch auch Israel soll während der letzten Waffenruhe nicht inaktiv gewesen sein. Eine der grundlegendsten Forderungen der Hamas zu diesem besagten Waffenstillstand haben sie nicht erfüllt, nämlich die Öffnung der Grenzen. Etwas anderes ist soweit ich weiß nie offiziell bestätigt worden, Mordkommandos, die so sagt man in Nacht- und Nebelaktionen Führungsmitglieder der Hamas getötet haben sollen. Darüber sprach ich letztens mit einer jungen Kollegin. Sie rechtfertigt diese Taten damit, dass die Hamas mit den Kassams eindeutig die Zivilbevölkerung angreift, was blanker Terror sei, die israelischen Operationen aber richteten sich lediglich gegen die Mitglieder einer Terrororganisation. 
Auch die Bevölkerung Gazas war nicht mit der aktuellen Situation zufrieden. Viele sahen das Eindringen israelischer Einheiten und vor allem die nichterfolgte Grenzöffnung als Versagen der Hamas an. Auch diese hat als Regierung für den Schutz und die Verbesserung der Situation der Bevölkerung Sorge zu tragen. Also auch die Hamas stand anlässlich der auslaufenden Waffenruhe unter Druck. 
Es ist schon was anderes diese Stimmen nicht aus den Medien, sondern von Freunden und Bekannten zu hören. Nie ist es mir in einem Konflikt so schwer gefallen Stellung zu beziehen. Entgegen vielen hiersiegen Vermutungen bedeutet meine Anwesenheit in Israel nämlich keine automatische proisraelische Haltung. Da muss ich mich dann doch das ein oder andere mal erklären
Manche von Euch möchte ich daran erinnern, wie leicht es ist in Europa zu sitzen und Pazifist zu sein. Die Frage ist, ob ein pazifistisches Israel überhaupt bestand hätte. Gerade deswegen existiert hier ja eine solch veränderte Wahrnehmung und Haltung. Nicht selten kam ich mit meinem Pazifismus in Israel schon zum wanken. Bis jetzt hat allerdings keiner der Regierungen ihrem Sorgetragen gerecht werden können und eine Verbesserung der Lage erreicht. Nach Israel flogen bis Sonntag nicht mehr nur aus dem Gaza wenige, sondern viele und auch aus dem Norden vereinzelt Raketen. Dazu kommt die wiedergekehrte Angst, dass der Terror wieder los gehen könnte. Schlimmere Konsequenzen hatte das Handeln der Hamas für die von ihnen regierte Bevölkerung. Über 1000 Tote und viele mehr Verletzte sprechen für sich. 
Das lässt einen nach kurzen Ausflügen dann doch wieder zum Pazifismus zurückkehren. 

Hoffnungsvolle Grüße,
Euer Julius